Lieber Herr Klingler,
anbei das redigierte Interview. Bitte bestaetigen Sie den Empfang, weil die letzte Email ja Probleme hatte.
Viele Gruesse, Helmut Veith
\Frage Wo waren Sie, bevor Sie nach Darmstadt gekommen sind ?
\Antwort Ich habe an der TU Wien studiert und promoviert. Ich war dann eineinhalb Jahre als Postdoc an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, und habe danach dort mehrere Sommer verbracht. Nach meiner Rückkehr habilitierte ich mich in Wien, und wurde vor mittlerweile vier Jahren an die TU München berufen. Seit Februar bin ich in Darmstadt.
\Frage Was ist Ihr erster Eindruck von Darmstadt gewesen?
\Antwort Darmstadt ist eine sehr nette Stadt. Die Leute sind unheimlich freundlich und wenn man das den Leuten sagt, sind sie vollkommen überrascht. Hier sind alle sehr hilfsbereit. Ich kann nur das Beste sagen über Darmstadt - auch über unsere Lage im Park und das damit verbundene "Campus Feeling".
\Frage War das in Wien nicht so?
\Antwort *leicht empört* Mein direkter Vergleicht ist ja München, aber Wien ist auch eine schöne Stadt. Ich bin Österreicher und in der Nähe von Wien aufgewachsen.
\Frage Was haben Sie studiert?
\Antwort Computationale Logik. Das ist ein Studiengang, den es eigentlich gar nicht gegeben hatte, und den wir gemeinsam mit Kommilitonen selbst geschaffen haben. In Österreich kann man sich bei entsprechenden Interessen einen Studienplan zusammenstellen und vom Ministerium genehmigen lassen. Das bedeutet dann natürlich einen organisatorischen Mehraufwand, aber es hat auch Spaß gemacht. Unser Diplomstudium war dann eine Mischung von Logik und Mathematik auf der einen Seite, und Informatik auf der anderen Seite.
\Frage Also ähnlich wie Mathematics with Computer Science (MCS)?
\Antwort Ja, wobei in unserem Studium der Anteil von Mathematik und Informatik sehr ausgewogen war, während hier nach meiner Information der Informatikanteil nur ca. ein Viertel ist. Hinzu kommt noch, dass in Wien immer ein sehr großer Wert auf Logik in der Informatik gelegt wurde.
\Frage War das auch Ihr Lieblingsfach im Studium?
\Antwort Ja. Das war sicher einer der Hauptgründe für diesen Studiengang.
\Frage Wie sieht Ihr Forschungsplan aus?
\Antwort Der Segen und der Fluch der Informatik ist, dass jeder mit geringem Aufwand ein kleines Programm schreiben und ein großes ändern kann, wodurch der ganze Prozess sehr fehleranfällig wird. Die Informatik braucht deshalb Methoden, die über das klassische Software Engineering, bei dem der Programmierer und seine Tätigkeiten kontrolliert werden, hinausgehen, und die dann tatsächlich das Programm überprüfen.
\Antwort Unser Fachgebiet wird die Bezeichnung ''Formal Methods in System Engineering'' tragen. Der Name steht für zwei Dinge: Auf der einen Seite steht die Aufgabe, dass wir uns mit komplexen informatischen Systemen aus dem wirklichen Leben beschäftigen, und auf der anderen Seite stehen dann unsere exakten mathematischen Methoden, die garantieren, dass diese Systeme auch korrekt funktionieren. Gerade im Bereich der Eingebetteten Systeme (Automobil-, Flugzeugindustrie) gibt es dabei auch sehr sicherheitskritische Fragen, vor allem in Sinne von ''safety''.
\Antwort Wir entwickeln in unserer Forschung Methoden und Tools, die es erlauben Korrektheitseigenschaften von Software und Hardware zu überprüfen. Eine zentrale Methode ist ''Model Checking''. Darüber halte ich auch meine erste Vorlesung hier. Man kann die Arbeit eines Model Checkers vielleicht mit der Funktionalität eines Compilers vergleichen. Ein Compiler untersucht ja den Programmcode auf bestimmte einfache Eigenschaften, und gibt Ihnen gegebenenfalls Fehlermeldungen aus. Ideal wäre es, wenn der Compiler das Programm auch noch auf schwierigere Eigenschaften überprüfen könnte, z.B. auf Deadlocks oder Terminierung. Microsoft etwa arbeitet an einem Model Checker, der die Terminierung von Gerätetreibern untersucht. Mit einem solchen ``Compiler hätte Microsoft ein paar Probleme weniger. Wir haben darauf aufbauend gemeinsam mit Microsoft ein Projekt, in dem wir mit Model Checking feststellen, welche Worst Case Laufzeit das Programm hat.
\Frage Wissen Sie schon, was Sie im Wintersemester anbieten werden?
\Antwort Geplant sind zwei Vorlesungen. Die eine Vorlesung soll eine Lücke schließen, die es hier in der theoretischen Informatik gibt - die Komplexitätstheorie. Das ist einfach ein Grundwerkzeug für jeden Informatiker. Die andere Vorlesung behandelt Entscheidungsprozeduren. Ein Beispiel für eine Entscheidungsprozedur ist ein SAT-Solver, das ist ein Programm, mit dem die Erfüllbarkeit einer Booleschen Formel festgestellt werden kann. Mit modernen SAT-Solvern können sie viele NP-vollständige Programme in der Praxis erstaunlich effizient lösen. SAT Solver sind auch softwaretechnisch sehr interessant: das sind hoch optimierte Programme, die in ein paar Hundert Zeilen C-Code ein schwieriges Problem lösen. Entscheidungsprozeduren spielen generell eine wichtige Rolle in modernen Model Checkern.
\Frage Welche Voraussetzungen braucht man für die Vorlesungen?
\Antwort Das wichtigste für mich ist Begeisterung. Außerdem setzt man natürlich das Grundstudium voraus. Mit den Lehrveranstaltungen im Grundstudium, besonders den Formalen Grundlagen, sind sie dann sehr gut vorbereitet auf die Veranstaltungen.
\Frage Wie sind Sie zur Informatik gekommen?
\Antwort Ich hatte im Abitur (Matura) eine Studienarbeit über Computeralgebra gemacht. Danach überlegte ich Mathematik oder Slawistik zu studieren, wurde aber von meinem Informatiklehrer zu einem Informatiker an die TU Wien geschickt, der mir erklärte, dass sie Leute mit meinen Interessen in der Informatik dringend brauchen würden. Das hat mich dann überzeugt. Und dann habe ich mit zwei Studienkollegen doch unseren neuen Studiengang geschaffen.
\Frage War das schwierig?
\Antwort Mit dem nötigen Enthusiasmus kann man bei den Professoren sehr viel erreichen. Das ist auch mein Tipp an die Studierenden: Wenn Sie an einem speziellen Thema interessiert sind und dann an einen Professor herantreten, dann glaube ich, dass Sie einiges Interesse erwecken können. Bei mir ganz sicher, es sei denn, es liegt völlig außerhalb meiner Expertise. Wir warten doch in unserer Branche auf nichts so sehr wie auf begeisterte Studenten.
\Frage Haben Sie noch Tipps für Studenten?
\Antwort Man sollte die Informatik nicht nur als Programmierausbildung verstehen. Es ist einfacher, mit einem gut fundierten theoretischen Wissen praktische Probleme zu lösen.
\Frage Lassen Sie Ihre Tür offen stehen?
\Antwort Bei einer Tür, die immer offen steht, fühlt man sich beobachtet, gerade hier im Erdgeschoss. Ich sitze in Zukunft in E3 mit Prof. Mantel und Prof. Fürnkranz. Dort ist es etwas ruhiger, aber trotzdem kann man nicht ständig die Tür offen haben, weil man auch konzentriert arbeiten muss. Man kann bei mir aber jederzeit anklopfen. Das schlimmste was passieren kann ist, dass ich keine Zeit habe, aber dann machen wir einen Termin aus.
\Frage Was ist bei Fragen?
\Antwort Ich stehe immer unmittelbar vor und nach der Vorlesung zur Verfügung. Bei schwierigeren Problemen machen wir dann einen Termin aus, entweder nach der Vorlesung oder per E-Mail.
\Frage Was sind Ihre allgemeine Zukunftsvorstellungen hier an der TU Darmstadt.
\Antwort In der Informatik haben wir viele Anknüpfungspunkte in verschiedene Richtungen. Das wird sich dann mittelfristig in verschiedenen Projekten ergeben. Das kann man jetzt noch nicht im Detail sagen.
\Frage Warum ist der Frauenanteil in der Informatik niedrig? Und wie könnte man diesen anheben?
\Antwort Das ist in den deutschsprachigen Ländern ein kulturelles Problem. Wir haben ja generell schon zu wenige Studienanfängerinnen, was mit der Schulausbildung und mit der Gesellschaft zusammenhängen muss. In Italien oder Russland zum Beispiel studieren sehr viele Frauen Informatik. Ein wichtiger Punkt sind die Vorbilder und da ist Darmstadt mit drei ganz ausgezeichneten Professorinnen sehr stark. Auf der anderen Seite muss man eben in die Schulen gehen und Werbung für die Informatik machen.
\Antwort Ein Problem ist auch, dass die Informatik nach außen hin oft sehr einseitig als Ingenieurwissenschaft dargestellt wird. Insofern besteht auch die Gefahr, dass das Interesse der Studienanfänger wegbricht, sobald in einer Zeitung steht, dass die Jobaussichten für Informatiker angeblich schlecht sind. Wir müssen gerade auch für Frauen stärker vermitteln, dass die Informatik eine anspruchsvolle und vielseitige Wissenschaft ist. Wir sollten wegkommen von dem rein technischen Bild der Informatik hin zu einem stärker naturwissenschaftlich geprägten.
\Frage Wenn Sie das heutige Studium mit ihrem damaligen vergleichen, welche Unterschiede fallen Ihnen auf?
\Antwort Die Bildung hat bei uns eine viel zentralere Rolle gespielt. Man merkt, dass Ihre Generation sich sehr stark unter Druck fühlt, in kürzester Zeit eine auf dem Arbeitsmarkt anwendbare Ausbildung zu bekommen. Ich kann das gerade im Fall der Informatik nicht ganz nachvollziehen, weil man sich sehr viel mehr auf die Informatik einlassen kann und dann trotzdem noch auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar sein wird und mittelfristig vielleicht sehr viel besser.
\Frage Meinen Sie dass der Druck stärker geworden ist?
\Antwort Man hört es von Seiten der Studenten. Der Trend geht sehr stark hin zur Berufsausbildung statt zu einer wissenschaftlichen Ausbildung: Bologna-Prozess, Anrechenbarkeit usw. Vor 15 Jahren wurde man in der Studienberatung noch an die Fachhochschule geschickt, wenn man eine Berufsausbildung wollte. Ich möchte das jetzt nicht bewerten, aber es haben sich einfach die Rahmenbedingungen geändert. Ich denke schon, dass es durch die derzeitigen Umstrukturierungen einige Universitäten schaffen werden, sich zu profilieren und stärker auf Bildung in der Ausbildung zu setzen.
\Frage Was halten Sie von der Exzellenzinitiative?
\Antwort Ich denke schon, dass die Betonung wissenschaftlicher Exzellenz sehr wichtig ist, um international mithalten zu können. Und dazu gehört es, dass man Institutionen hat, in denen die begeistertsten Wissenschaftler und Leute, die Tag und Nacht arbeiten wollen, aufeinander treffen und zusammenarbeiten. Deswegen muss man sich schon von dem Gedanken lösen, dass das an jeder Uni jeder Stadt in jedem Fachgebiet passieren muss. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch Geld, weil man dann die entsprechenden Leute durch attraktive Arbeitsbedingungen anlocken und anstellen kann.
\Frage Sie waren ja im Ausland...
\Antwort Ich komme aus dem Ausland *lacht*
\Frage Was ist der größte Unterschied zwischen der Kultur im deutschsprachigen Raum und den USA?
\Antwort Wir müssen noch daran arbeiten, bei den Studierenden einen Stolz auf die eigene Institution zu entwickeln. Wir vermitteln viel zu wenig, welche wissenschaftlichen Größen auf unseren Korridoren wandeln. An der Carnegie Mellon University (Pittsburgh) hat es jede Woche ein doppelseitiges Informationsblatt gegeben mit diversen Neuigkeiten, Auszeichnungen usw. Dadurch wird der Gemeinschaftssinn und die Identifikation mit der Universität gefördert.
\Frage Glauben Sie, dass da mehr getan werden muss?
\Antwort Der Druck auf die Universitäten wird auch von außen größer. Dadurch müssen wir versuchen, die eigenen Qualitäten stärker heraus zu arbeiten. Es ist ja auch für uns wichtig, dass Sie Ihren Freunden und Familien sagen, wie toll es ist, an der TU Darmstadt zu studieren. Am besten natürlich in der Informatik. *lacht*
\Frage Viele Studenten betrachten die Vorlesungen als passive Veranstaltung...
\Antwort Das ist auch eine Finanzierungsfrage. An vielen führenden Universitäten in den USA sitzen 40-50 Studenten in den Grundvorlesungen. Das hängt vom politischen Willen ab.
\Frage Glauben Sie dass durch solche Veranstaltungen in der USA der Student mehr Richtung Forschung getrieben wird?
\Antwort Es wird dort großer Wert auf selbständiges Arbeiten gelegt. Man verbringt weniger Zeit in Vorlesungen und mehr Zeit mit Hausübungen, selbständigem Studium und Bücher lesen. Es wird eigentlich erwartet, dass Sie, sobald Sie in die Vorlesungen kommen, das entsprechende Kapitel schon gelesen haben. Damit der Professor Ihnen die interessanten Aspekte erzählen kann und nicht das was Sie ohnehin schon in Büchern nachlesen können. Das würde in Deutschland natürlich einen gewissen Kulturbruch bedeuten.
\Frage Wir haben zum Schluss noch einige offene Sätze, die Sie vervollständigen dürfen: Informatik ist für mich...
\Antwort ... eine Grundlagenwissenschaft.
\Frage Mathematik ist für mich ...
\Antwort ... wichtiges Werkzeug der Informatik.
\Frage Das Piloty Gebäude ist ...
\Antwort ... wunderschön und viel zu klein.
\Frage Die schönste Programmiersprache ist ...
\Antwort ... Prolog.
\Frage 42 ist ...
\Antwort ... die Antwort auf alles. Wenn Sie an 42@forsyte.cs.tu-darmstadt.de schreiben, erreichen Sie die Mailingliste meiner wissenschaftlichen Mitarbeiter.
\Frage Herr Veith, wir danken Ihnen für das Gespräch.