Sehr geehrter Herr Gösele,
es hat zwar viel länger gedauert als gedacht, nun ist aber das Interview abgetippt und so gut wie fertig. Der Titel des Artikels steht noch nicht ganz fest, es kann auch sein, dass wir beim Setzen noch einzele Fragen streichen müssen, um den Artikel nicht zu lang werden zu lassen. Im Anhang befindet sich der Text, die Audioaufnahme ist unter http://D120.de/~thomas/interview_goesele.mp3 abgelegt, falls Sie sie benötigen. Es wäre sehr schön, wenn Sie uns bis Ende nächster Woche mögliche Anmerkungen mitteilen, damit sich die Ausgabe nicht verzögert - wäre aber natürlich unser Problem.
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Pilot
Fachschaft Informatik
\Titel Interview Gösele \Vorspann Prof. Dr. Michael Gösele ist seit 1. September Juniorprofessor am Fachbereich Informatik im Fachgebiet Geometrische Modellierung und Animation. Im Dezember sprachen wir mit ihm am Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung. \Frage Was hat Sie dazu bewogen, nach Darmstadt zu kommen? \Antwort Ich war zwei Jahre in den USA als Postdoc und hatte mich in Europa, hauptsächlich Deutschland, nach Stellen umgeschaut. Insbesondere die Ausschreibung als Juniorprofessor hier hat mich sehr fasziniert. Die Tatsache, in einem Graphikinstitut arbeiten zu können und eine große und sehr gut vernetzte Gruppe von Professoren auf einem Fachgebiet zu haben, findet man in Deutschland selten. Das war eines der großen Argumente, hierher zu kommen. Dazu kam noch, dass ich von Kollegen gehört habe, dass die TU ein sehr gutes Niveau und sehr gute Studierende hat. \Frage Was ist Ihr erster Eindruck von Darmstadt gewesen? \Antwort Der erste Eindruck war sehr nett, da wir im Gästehaus der Universität gewohnt haben. Aber abgesehen davon geht es mir so wie wahrscheinlich vielen Kollegen, die noch nicht viel von Darmstadt gesehen haben. Aber mir gefällt, was ich bis jetzt von der Stadt gesehen habe. Besonders, dass wenn man durch die Stadt läuft, man immer wieder auf Kleinodien stößt: die Mathildenhöhe, die Rosenhöhe, und dann ist hier noch der Herrngarten als Park. Darmstadt ist nicht so klar strukturiert, sondern man kann hier und da ganz nette Ecken finden. \Frage Einen Monat, nachdem Sie angefangen haben, sind Sie schon mit der Veranstaltung Graphischen Datenverarbeitung 3 in der Lehre aktiv. Für wie wichtig halten Sie es, möglichst früh in die Lehre involviert zu sein? \Antwort Ich finde es im Moment sehr positiv, dass ich die Vorlesung halte, weil ich dadurch die Gelegenheit habe, mit den Studenten in Kontakt zu kommen - von daher ist es für mich eine Bereicherung. Es ist natürlich klar, dass, wenn man eine Gruppe startet, man ziemlich viel zu tun hat: unter anderem erstmal anzukommen und eine Wohnung zu suchen sind so die klassischen Dinge. Aber ich denke es ist wichtig, bald mit der Lehre zu starten, um den Kontakt zu den Studenten zu haben. \Frage Was für Lehrveranstaltungen bieten Sie im Sommersemester zu Ihrem Fachgebiet an? \Antwort Der Titel steht noch nicht hundertprozentig fest, aber er wird wahrscheinlich "Programming Massively Parallel Processors" sein (Anm.: dabei ist es geblieben [1]). Es ist eine spannende Entwicklung, immer parallelere Architekturen zu haben, beispielsweise die Graphikhardware. Aktuelle Nvidia-Systeme haben 128 parallele Recheneinheiten, auf denen tausende Threads parallel laufen. Der Kurs soll sich im Prinzip darum drehen, wie man mit dieser Parallelität umgeht. \Frage Was war Ihr Lieblingsfach im Studium? \Antwort Mich hat die Theoretische Informatik interessiert. Ich habe in Ulm studiert und hatte eigentlich schon immer vor, ein Jahr lang ins Ausland zu gehen. Die Organisation hat erstaunlich lange gedauert, sodass ich erst im achten Semester, als ich nur noch meine Diplomarbeit schreiben musste, an die Uni nach Chapel Hill kam. Dort habe ich die Graphik kennengelernt, in Ulm gab es das damals noch nicht. Ich habe dann meine Diplomarbeit auf diesem Gebiet gemacht, bin zurück nach Deutschland gekommen und habe in Saarbrücken promoviert. \Frage Was würden Sie rückblickend Studenten raten? In Bachelor-Studiengängen ist aus unserer Sicht eine zunehmende Verschulung festzustellen - Sie haben dagegen damals die Gelegenheit genutzt, auch mal zur Seite zu schauen. \Antwort Für mich waren das traumhafte Erfahrungen. Ich würde jedem raten, mal ins Ausland zu gehen. Ich kenne allerdings den Bachelor nicht gut genug, um einschätzen zu können, wie sich das einbauen lässt - ich habe das damals über Urlaubssemester gemacht. Was das Interessante bei mir war: ich hatte mich eigentlich schon mit einem Professor dort abgesprochen, wie ich mit ihm zusammenarbeiten möchte. Es ging da um parallele Architekturen, aber als ich dort war, sagte er: "Schön das Sie da sind, wir haben jetzt für unsere neuen Studenten eine Einführungsveranstaltung, wo sich alle Professoren vorstellen. Gehen Sie dahin und schauen Sie sich mal an, was Sie am meisten interessiert." Obwohl wir eigentlich diesen Kontakt hatten, interessierte mich die Grafik mehr. Ich stieg dann dort ein und nutzte diese Chance. Für diese Offenheit bin ich dem Professor noch heute dankbar. \Frage Sind Sie dann auch ein Freund des freien Studiums? \Antwort Ich bin schon dafür, dass man zielgerichtet studiert, wobei das Ziel dann schon etwas breiter gefasst sein kann. Man darf durchaus mit offenen Augen durch die Welt laufen und muss nicht in sieben Semestern fertig sein. \Frage Auch auf die Gefahr hin, dass man zum Beispiel zwei Jahre länger studiert? \Antwort Das ist natürlich eine schwierige Sache. Ich bin eigentlich dafür, dass das Studium relativ frei läuft, sehe aber auch das Problem, dass dazu dann auch eine Betreuung vorhanden sein muss. So eine Art Mentor, oder jemand, der einem bei der Frage "Was möchte ich machen?" auszusortieren hilft. Ein strikter Lehrplan wie in der Schule mit geringer Wahlmöglichkeit bei den Leistungskursen ist sicher nicht das Ziel des Studiums, da wäre ich strikt dagegen. Aber ich bin auch gegen ein "Ich studiere mal ins Blaue hinein, und schaue mal, wo mich was interessiert." \Frage Haben Sie im Nachhinein neben dem Auslandsaufenthalt und dem Blick über den Tellerrand weitere Tipps fürs Studium? \Antwort Allgemein ist das schwierig zu sagen, vielleicht noch eine Erfahrung: ich habe sehr viele Kurse besucht, besonders auch in den USA, wo die Übungen relativ frei waren, aber man sich sehr stark einsetzen musste. Zum Beispiel eine Aufgabestellung im Hardwaredesign: jemand hat eine Idee und möchte einen Prototyp eines Graphiktabletts bauen. Es wurde dann gesagt, dass man keine Vorkenntnisse benötigt und in einem Semester dazu gebracht wird, diesen Prototyp auch wirklich zu bauen - das hat dann auch funktioniert. In diesem Kurs habe ich unglaublich viel gelernt, weil man sich vieles selbst erarbeiten musste und er hatte ein sehr praxisnahes Ziel. Das schwebt mir so als eine ideale Lehrveranstaltung vor, zumindest wenn man in höheren Semestern ist. Ich würde Leute ermutigen, sich auf solche Dinge einzulassen. \Frage Würden Sie dann auch solche Veranstaltungen anbieten? \Antwort Ich bemühe mich, sowas anzubieten, eventuell auch schon in regulären Veranstaltungen. Aktuell sind in meiner Veranstaltung "Graphischen Datenverarbeitung 3" die Übungen sehr offen gehalten und bieten den Studenten die Möglichkeit, wirklich noch selbständig was zu erabeiten. \Frage Was sind Ihre Hauptforschungsinteressen? \Antwort Ich bin in der Computergraphik beschäftigt. Mein Forschungsgebiet, schon seit meiner Doktorarbeit, ist die Digitalisierung von Materialien, Oberflächen, Szenen und ähnlichem. Ich möchte eigentlich ein möglichst realistisches Abbild der realen Welt im Rechner ausstellen. \Frage Sie haben ein Verfahren entwickelt, mit Flickr-Photos Modelle zu erstellen [2]. Wie sieht es denn da mit dem Urheberrecht aus? Behindert das Ihre Arbeit? \Antwort Es ist auf jeden Fall ein Aspekt der berücksichtigt werden muss. Insbesondere wenn man die Arbeiten kommerziell einsetzen will. Dann muss man sich auch explizit die Einwilligung der Nutzer holen, denke ich. Im Moment würde ich es jedoch nicht als wirkliche Behinderung betrachten. Wir sind jetzt die ersten, die die Bilder auf diese Weise nutzen. Von daher ist es eventuell auch so, dass der Fall noch nie in irgendwelchen Nutzungsbedingungen abgedeckt worden ist. \Frage Wie sieht das im größeren Rahmen aus? Sind Sie mehr für Open Source oder sollte es mehr dem klassischen Urheberrecht entsprechen? \Antwort Es ist immer die Frage, was sie mit ihren Entwicklungen erreichen wollen. Wenn Sie alles freigeben und mit Firmen kooperieren wollen, werden Sie da Probleme bekommen. Ansonsten, wenn es zum Beispiel ins Publikationswesen geht, bewundere ich immer Gruppen, die bereit sind, ihren kompletten Code online zu stellen und ich finde es im Prinzip auch gut. Bei aktuellen Projekten denken wir im Moment selbst darüber nach. \Frage Wie haben Sie in den USA den Frauenanteil in der Informatik erlebt? \Antwort Ich habe keine genauen Zahlen im Kopf, aber es ist sicherlich dort genauso ein Problem wie hier, dass der Frauenanteil zu niedrig ist. \Frage Woran liegt das? \Antwort Da gibt es die verschiedensten Theorien, warum man die Frauen offensichtlich nicht für das Fach begeistern kann. Es ist zum Beispiel die Frage, wie man nach außen kommuniziert, was Informatik ist und was es heißt Informatik zu studieren. Wichtig ist auch, wie das bei den Zielgruppen ankommt - es gibt klassische Vorurteile, wie Informatik ist, aufgrund derer vieleicht auch Frauen sagen, dass sei nicht ihr Fach. Die Frage ist also, ob wir diese Vorurteile zerstreuen können. Wie zum Beispiel können wir vermitteln, dass es nicht das klassische ingenieurwissenschaftliche Fach mit viel Schwitzen ist? Das erfordert Arbeit, schon bevor das Studium anfängt, das heißt in die Schulen zu gehen und da was zu ändern. \Frage Ergänzen Sie bitte folgende Sätze: Informatik ist für mich... \Antwort ...eine unglaublich spannende Wissenschaft, weil sie fundierte mathematische Theorien und theoretische Grundlagen mit ganz praktischen Anwendungen verknüpft. \Frage Mathematik ist für mich... \Antwort ...ein wertvolles Werkzeug, das besonders in meiner Disziplin sehr wichtig ist. \Frage Die schönste Programmiersprache ist... \Antwort ...Geschmackssache. \Frage 42 ist... \Antwort ...eigentlich aufgrund von Inflation schon veraltet. \Frage Herr Gösele, wir danken Ihnen für das Gespräch. \Autor Das Gespräch führten Andreas Marc Klingler und Thomas Pilot. [1] http://www.gris.informatik.tu-darmstadt.de/~mgoesele/PMPP/ [2] http://www.gris.informatik.tu-darmstadt.de/~mgoesele/download/Goesele-2007-M...