Guten Tag Herr Veith,
anbei finden Sie die Abschrift Ihres Interviews. Bitte schauen Sie
drüber und geben uns bescheid, ob es so in Ordnung ist.
Zudem würden wir noch gerne Photos von Ihnen machen. Am besten einmal
in D120 (wo das Gespräch stattgefunden hat) und z.B. in Ihrem Büro.
Bitte geben Sie uns bescheid, wann Sie zwischendurch fünf bis zehn
Minuten Zeit dafür haben. Wir sind da sehr flexibel.
Gruß
Andreas Marc Klingler
\Frage Wo waren Sie, bevor Sie nach Darmstadt gekommen ist?
\Antwort Ich habe an der TU Wien studiert und promoviert. Einige
Jahre war ich dann immer wieder in Pittsburgh und habe dort meinen
Postdoc gemacht. Anschließend habilitierte ich mich zunächst 1,5
Jahre und dann noch mal einige Sommer in Wien. Bin ich dann vor
mittlerweile vier Jahren nach München berufen wurden und jetzt seit
Februar in Darmstadt bin.
\Frage Was ist Ihr erste Eindruck von Darmstadt gewesen?
\Antwort Darmstadt ist eine sehr nette Stadt. Die Leute sind
erstaunlich freundlich und wenn man das den Leuten sagt, sind sie
vollkommen überrascht. Hier sind alle sehr hilfsbereit. Ich kann nur
das Beste sagen über Darmstadt auch mit dem Park und dem "Campus
Feeling".
\Frage War das in Wien nicht so?
\Antwort *leicht empört* Na, Wien ist auch eine schöne Stadt. Ich bin
Österreicher und in der Nähe von Wien aufgewachsen.
\Frage Was haben Sie studiert?
\Antwort Computationale Logik. Das ist ein Studiengang, den es
eigentlich gar nicht gegeben hatte. Den haben wir uns selbst
geschaffen. In Österreich kann man sich bei Interessenlage einen
Studienplan zusammenstellen und sich diesen vom Ministerium
genehmigen lassen. Das bedeutet dann natürlich einen
organisatorischen Mehraufwand, aber es hat auch Spaß gemacht. Das
Studium war dann eine Mischung von Logik und Mathematik auf der einen
Seite und Informatik auf der anderen Seite.
\Frage Also ähnlich wie Mathematics with Computer Science (MCS)?
\Antwort Ja, wobei in Wien der Anteil von Mathematik und Informatik
sehr ausgewogen war, während hier der Informatikanteil nur ca. ein
Viertel ist. Hinzu kommt noch, dass in Wien immer ein sehr großer
Wert auf die Logik in der Informatik gelegt wurde.
\Frage War das auch Ihr Lieblingsfach im Studium?
\Antwort Ja. Das war sicher einer der Hauptgründe für diesen
Studiengang.
\Frage Wie sieht Ihr Forschungsplan aus?
\Antwort Unser Fachgebiet wird den Namen ''Formal Methods in System
Engineering'' tragen. Auf der einen Seite steht die Aufgabe, dass man
informatische Systeme wirklich bauen will und auf der anderen Seite
stehen dann die exakten mathematischen Methoden, damit diese Systeme
auch korrekt funktionieren. Gerade im Bereich der Eingebetteten
Systeme (Automobil-, Flugzeugindustrie) gibt es sehr
sicherheitskritische Fragen, vor allem in Sinne von ''safety''.
\Antwort Der Fluch der Informatik ist, dass jeder ein kleines
Programm schreiben kann und dieses auch ändern kann, wodurch das
ganze sehr fehleranfällig wird. Man braucht also Methoden, die über
das klassische Software Engineering, bei dem der Programmierer und
seine Tätigkeiten kontrolliert werden, hinausgehen, und die dann
tatsächlich das Programm überprüfen. Man kann das vielleicht mit der
Funktionalität eines Compilers vergleichen, der den Programmcode auf
bestimmte Eigenschaften untersucht. Ideal wäre es, wenn der Compiler
das Programm auch noch auf Terminierung überprüfen könnte. Mit so
einem Compiler hätte Microsoft ein paar Probleme weniger.
\Antwort Wir entwickeln also Methoden und Tools, die es uns erlauben
Korrektheitseigenschaften von Software und Hardware zu überprüfen.
Eine zentrale Methode ist ''Model Checking''. Darüber halte ich auch
meine erste Vorlesung hier. Außerdem gibt es in diesem Semester auch
noch ein Seminar über automatische Korrektheisanalysen von Software.
\Frage Wissen Sie schon, was Sie im Wintersemester anbieten werden?
\Antwort Geplant sind zwei Vorlesungen. Die eine Vorlesung soll eine
Lücke schließen, die es hier in der theoretischen Informatik gibt -
die Komplexitätstheorie. Das ist einfach ein Grundwerkzeug für jeden
Informatiker. Die andere Vorlesung behandelt Entscheidungsprozeduren.
Da werden NP vollständige Probleme auf Subsolver reduziert. Das sind
hoch optimierte Programme, die mit den klassischen booleschen
Erfüllbarkeitsproblem gut umgehen können. Es handelt sich dabei nur
um ein paar Zeilen C-Code.
\Frage Welche Voraussetzungen braucht man für die Vorlesungen?
\Antwort Das wichtigste für mich ist Begeisterung. Außerdem setzt man
natürlich das Grundstudium voraus. Mit der Logik im Grundstudium sind
sie dann sehr gut vorbereitet auf die Veranstaltungen.
\Frage Wie sind Sie zur Informatik gekommen?
\Antwort Ich hatte im Abitur (Matura) eine Studienarbeit über
automatische Sicherheit gemacht. Danach wollte ich eigentlich
Mathematik studieren, aber da wurde ich von meinem Informatiklehrer
zu einem theoretischen Informatiker geschickt, der mir dann sagte,
dass solche Leute wie mich dringend in der Informatik gebraucht
werden. Das hat mich dann überzeugt. Und da habe ich mit zwei
Studienkollegen diesen neuen Studiengang geschaffen.
\Frage War das schwierig?
\Antwort Mit dem nötigen Enthusiasmus kann man bei den Professoren
sehr viel erreichen. Das ist auch mein Tipp an die Studierenden: Wenn
Sie an einem speziellen Thema interessiert sind und dann als Gruppe
an einen Professor heran treten, dann glaube ich, dass Sie einiges
Interesse erwecken können. Bei mir ganz sicher, es sei denn es liegt
völlig außerhalb meiner Expertise. Wir warten doch in unserer Branche
auf nichts so sehr wie auf begeisterte Studenten.
\Frage Haben Sie noch Tipps für Studenten?
\Antwort Man sollte die Informatik nicht nur als
Programmierausbildung verstehen. Es ist einfacher, mit einem guten
fundierten theoretischen Wissen praktische Probleme zu lösen.
\Frage Lassen Sie Ihre Tür offen stehen?
\Antwort Eine Tür, die immer offen steht, da fühlt man sich
beobachet, gerade hier im Erdgeschoss. Ich sitze in E3 mit Prof.
Mantel und Prof. Fürnkranz (fast alle Österreicher in einem Trakt).
Dort ist es etwas ruhiger, aber trotzdem kann man nicht ständig die
Tür offen haben, weil man auch konzentriert arbeiten muss. Man kann
aber jederzeit anklopfen. Das schlimmste was passieren kann ist, dass
ich keine Zeit habe, aber dann machen wir einen Termin aus.
\Frage Was ist bei Fragen?
\Antwort Ich stehe immer unmittelbar vor und nach der Vorlesung zur
Verfügung. Bei schwierigeren Problemen macht man dann einen Termin
mit mir aus, entweder nach der Vorlesung oder per E-Mail.
\Frage Was sind Ihre allgemeine Zukunftsvorstellungen hier an der TU
Darmstadt.
\Antwort In der Informatik hat man viele Anküpfungspunkte in
verschiedene Richtungen. Das wird sich dann mittelfristig oder in
verschiedenen Projekten ergeben. Das kann man jetzt noch nicht sagen.
\Frage Warum ist der Frauenanteil in der Informatik niedrig? Und wie
könnte man diesen anheben?
\Antwort Das ist eindeutig ein Problem der deutschsprachigen Länder.
Es ist also ein kulturelles Problem. Wir haben ja generell schon zu
wenige Studienanfängerinnen, was mit der Schulausbildung und mit der
Gesellschaft zusammenhängen muss. In Italien zum Beispiel studieren
sehr viele Frauen Informatik. Ein wichtiger Punkt sind die Vorbilder
und da ist Darmstadt mit drei ganz ausgezeichneten Professorinnen
sehr stark. Auf der anderen Seite muss man eben in Schulen gehen und
Werbung für die Informatik machen.
\Antwort Ein Problem ist auch, dass die Informatik sehr einseitig
dargestellt wird. Insofern besteht auch die Gefahr, dass das
derzeitige Interesse wegbricht, sobald in der Zeitung steht, dass die
Jobaussichten für Informatiker schlecht sind. Aber wir merken schon
sehr stark, dass über Prognosen der Arbeitsmarktsituation die Anzahl
der Studienanfänger sich stark ändern. Wir müssen einfach mehr
vermitteln, dass die Informatik eine anspruchsvolle Wissenschaft ist.
Wir sollten wegkommen von der rein technischen Ausbildung hin zu
einer naturwissenschaftlichen Ausbildung.
\Frage Wenn Sie das heutige Studium mit ihrem damaligen vergleichen,
welche Unterschiede fallen Ihnen auf?
\Antwort Die Bildung hat bei uns eine viel zentralerer Rolle
gespielt. Man merkt, dass Ihre Generation sich sehr stark unter Druck
fühlt, in kürzester Zeit eine auf dem Arbeitsmarkt anwendbare
Ausbildung zu bekommen. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, weil
man sich sehr viel mehr auf die Informatik einlassen kann und dann
trotzdem noch auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar sein wird und
mittelfristig vielleicht sehr viel besser.
\Frage Meinen Sie dass der Druck stärker geworden ist?
\Antwort Man hört es von Seiten der Studenten: Bologna-Prozess,
Anrechenbarkeit usw. Der Trend geht sehr stark hin zur
Berufsausbildung statt zu einer wissenschaftlichen Ausbildung. Vor 15
Jahren wurde man noch an die Fachhochschule geschickt wurde, wenn man
eine Berufsausbildung wollte. Ich möchte das jetzt nicht bewerten,
aber es haben sich einfach die Rahmenbedingungen geändert. Ich denke
schon, dass sich durch die Umstrukturierung die Universitäten es
schaffen werden sich als elitär zu profilieren und auch wieder zu dem
klassischen Bildungsgedanken zurückfinden.
\Frage Was halten Sie von der Exzellenzinitiative?
\Antwort Ich denke schon, dass das sehr wichtig ist, um international
mithalten zu können. Und dazu gehört es, dass man Institutionen hat,
in denen die begeistertsten Wissenschaftler und Leute, die Tag und
Nacht arbeiten wollen, einander treffen und zusammen arbeiten. Und
deswegen muss man sich schon von dem Gedanken lösen, dass das an
jeder Uni und in jeder Stadt passieren kann. Entscheidende Rolle
spielt dabei Geld, weil man dann die entsprechenden Leute auch
anlocken und anstellen kann.
\Frage Sie waren ja im Ausland...
\Antwort Ich komme aus dem Ausland *lacht*
\Frage Was ist der größte Unterschied zwischen der Kultur im
deutschsprachigen Raum und den USA?
\Antwort Wir müssen noch daran arbeiten, bei den Studierenden einen
Stolz auf die eigene Institution zu entwickeln. Wir vermitteln viel
zu wenig, was für wissenschaftliche Größen auf den Korridoren
wandeln. In der Carnigan Mellon University (Pittsburgh) hat es jede
Woche ein doppelseitiges Informationsblatt gegeben mit diversen
Neuigkeiten, Auszeichnungen usw. Dadurch wird der Gemeinschaftssinn
und die Identifikation mit der Universität gefördert.
\Frage Glauben Sie, dass da mehr getan werden muss?
\Antwort Der Druck auf die Universitäten wird auch von außen größer.
Dadurch wird versucht, die eigenen Qualitäten stärker heraus zu
arbeiten. Es ist ja auch für uns wichtig, dass Sie Ihren Freunden und
Familien sagen, wie toll es ist, an der TU Darmstadt zu studieren.
Die besten natürlich in der Informatik. *lacht*
\Frage Viele Studenten betrachten die Vorlesungen als passive
Veranstaltung...
\Antwort Das ist auch eine Finanzierungsfrage. An den großen
Universitäten sitzen immer nur 40-50 Studenten in den
Grundvorlesungen. Das hängt vom politischen Willen ab.
\Frage Glauben Sie dass durch solche Veranstaltungen in der USA der
Student mehr Richtung Forschung getrieben wird?
\Antwort Es wird großen Wert auf selbständiges Arbeiten gelegt. Man
verbringt weniger Zeit in Vorlesungen und mehr Zeit mit Hausübungen,
selbständigem Studium und Bücher lesen. Es wird eigentlich erwartet,
dass, sobald Sie in die Vorlesungen kommen, das entsprechende Kapitel
schon gelesen haben. Damit der Professor Ihnen die interessanten
Aspekte erzählen kann und nicht das was Sie ohnehin schon in Büchern
nachlesen können. Das würde hier natürlich einen gewissen Kulturbruch
bedeuten.
\Antwort Die andere Seite ist - das klingt vielleicht etwas elitär -
aber wenn sie von vorn herein nur 15% der Studenten zulassen, dann
dürfen Sie davon ausgehen, dass sie alle mit sehr viel größeren
Enthusiasmus kommen. Ich sage jetzt nicht, dass man das machen soll,
aber natürlich steckt dieser Enthusiasmus auch an. Es sind halt zwei
unterschiedliche Systeme.
\Frage Wir haben zum Schluss noch einige offene Sätze, die Sie
vervollständigen dürfen: Informatik ist für mich...
\Antwort ... eine Grundlagenwissenschaft.
\Frage Mathematik ist für mich ...
\Antwort ... wichtiges Werkzeug der Informatik.
\Frage Das Piloty Gebäude ist ...
\Antwort ... wunderschön und viel zu klein.
\Frage Die schönste Programmiersprache ist ...
\Antwort ... Prolog.
\Frage 42 ist ...
\Antwort ... die Antwort auf alles.
\Frage Herr Veith, wir danken Ihnen für das Gespräch.