Pressemitteilung der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) vom 3. Juli 2007
Entwurfsfassung des § 202c StGB droht Informatikerinnen und Informatiker zu
kriminalisieren: Experten der Gesellschaft für Informatik appellieren an den
Bundesrat
Bonn, 3. Juli 2007 Mit der Einführung dieses Paragrafen 202c
StGB auch als verschärfter Hackerparagraf bezeichnet - soll künftig mit
Freiheitsentzug bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden, wer
eine Straftat vorbereitet durch das Herstellen, Verschaffen, Verkaufen,
Überlassen, Verbreiten oder Zugänglichmachen von Passwörtern oder sonstigen
Sicherheitscodes für den Datenzugang sowie von Computerprogrammen, deren
Zweck die Begehung einer entsprechenden Tat ist. Darauf weist Prof. Dr.
Hartmut Pohl, Sprecher des Arbeitskreises "Datenschutz und IT-Sicherheit"
der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) hin.
Problematisch ist die Einfügung des 202c StGB, weil Programme und Tools
nicht nach ihrer Einsatzart, sondern vielmehr nach ihrem Aufbau definiert
werden. Eine Unterscheidung in Anwendungen, die zur Begehung von Straftaten
und solche, die ausschließlich für legale Zwecke hergestellt werden, ist
aber nicht möglich. Der gewählte Wortlaut führt zu einer Kriminalisierung
der heute in allen Unternehmen, Behörden und von Privaten verwendeten
Programme zur Aufdeckung von Sicherheitslücken in IT-Systemen. Derartige
Programme und Tools sind zur Absicherung gegen Angriffe jedoch unverzichtbar
(Penetration Testing).
Genauso wird jegliche Lehre, Forschung und Entwicklung und auch der einfache
Gedankenaustausch zu Prüftools an Universitäten und Fachhochschulen mit
diesem Paragrafen unter Strafe gestellt.
Am 24.05.2007 hat der Bundestag trotz fundierter Proteste in 2. und 3.
Beratung alle Änderungsanträge abgelehnt und damit den Regierungsentwurf:
"Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes zur Bekämpfung der
Computerkriminalität" ohne Debatte verabschiedet. Die Zustimmung des
Bundesrats steht bisher aus; das Gesetz ist allerdings nicht
zustimmungspflichtig (Einspruchsgesetz). Insgesamt stelle der Gesetzentwurf
damit eine unzulässige Erweiterung der Cybercrime-Convention des Europarats
dar, so Pohl.
Prof. Dr. Alexander Rossnagel, Jurist an der Universität Kassel, erläutert
dazu:
1) Risiken
a) Kriminalisierung erwünschten Verhaltens
Es besteht die Gefahr, den bloßen Besitz und die informationstechnische
Entwicklung - von Tools zu bestrafen, die der Identifizierung von
Sicherheitslücken dienen, zugleich aber wesensnotwendig auch zum Eindringen
in Systeme verwendet werden können, ebenso wie man einen Dietrich braucht,
um zu überprüfen, ob das Schloss sicher ist. Das angeblich einschränkende
objektive Tatbestandsmerkmal der "Zweckbestimmung für eine Straftat" (§ 202c
Abs. 1 Nr. 2 StGB-E) ist keines, weil Computerprogramme keinen Zweck haben.
Selbst wenn der Entwickler einen bestimmten Zweck intendiert, können sie
immer missbraucht werden. Die Begründung erkennt dies implizit an, wenn sie
angibt, es reiche aus, wenn die objektive Zweckbestimmung "auch" die
Begehung einer Straftat sei. Noch problematischer wird dies dadurch, dass
der bedingte Vorsatz erfasst ist. Es ist eine Vielzahl von Fällen
vorstellbar, in denen ein Betroffener bei einer an sich legitimen Handlung
in Kauf nehmen wird, dass ein Passwort oder ein Computerprogramm auch
anderweitig verwendet wird (s. die Beispiele in der Bundesrats-Erwiderung;
ein weiteres wäre der wissenschaftliche Austausch über ein Hacker-Tool
zwischen Informatik-Professoren oder zwischen solchen Professoren). Bereits
die Gefahr, wegen einer solchen Tätigkeit belangt zu werden, kann die
Entwicklung und Verbesserung von Sicherheitstechnik behindern, Industrie und
Bürgern wichtiger Selbstanalysemöglichkeiten berauben und so die
IT-Sicherheit gefährden.
b) Extreme Weite des Tatbestands
(1) Es ist unklar, ob die Eingangsformulierung (Vorbereitung einer Straftat)
eine konkrete Tat erfordert, oder ein abstraktes Gefährdungsdelikt
darstellt. Wenn letzteres der Fall ist (so z.B. Borges/Stuckenberg/Wegener,
DuD 2007, 275), besteht die Gefahr, dass auch der bloße Besitz
entsprechender Tools bestraft wird (etwa, wenn Gerichte die Verwendung zum
Testen von Sicherheitslücken als Schutzbehauptung werten).
(2) Die Formulierung des "Zugangs zu Daten" in § 202c Abs. 1 Nr. 1 ist sehr
weit. Nach dem Entwurf dürfte sich ein Jugendlicher strafbar machen, der
sich das Premiere-Passwort seiner Eltern verschafft, selbst wenn er es
letztlich gar nicht benutzt. Auch die Überwindung des PIN-Schutzes eines
Handys dürfte erfasst sein. Ggf. könnte man wie in der Konvention "Zugang zu
einem Computersystem" schreiben, auch wenn man natürlich auch Handys als
Computer auffassen kann.
(3) Die Sinnhaftigkeit der sehr weiten Vorverlegung der Strafbarkeit kann
man auch insgesamt bezweifeln. Nachdem durch den neuen § 202a StGB-E auch
das schlichte Hacken von IT-Systemen strafbar wird, müsste begründet werden,
warum tatsächlich bereits die Vorbereitung derartiger Handlungen bestraft
werden soll (während die Vorbereitung von Straftaten ansonsten, von ganz
wenigen Ausnahmen abgesehen, straflos ist).
2) Veränderungsmöglichkeiten
Auf alle diese Risiken wurde bereits in der Expertenanhörung hingewiesen,
ohne Erfolg. Rossnagel: "Wenn man nicht den Paragrafen komplett streichen
möchte, ließe er sich auf zwei Arten entschärfen:
a) Bezugnahme auf eine konkrete Tat: Das Tatbestandsmerkmal "vorbereiten"
lässt sich als abstraktes Gefährdungsdelikt auslegen, sodass bereits der
bloße Besitz strafbar sein könnte. Das ließe sich konkretisieren. Es könnte
allerdings zweifelhaft sein, ob das noch mit der Cybercrime-Convention
konform geht, die in Art. 6 vorsieht, zu bestrafen "den Besitz eines unter
Buchstabe a Ziffer i oder ii bezeichneten Mittels mit dem Vorsatz, es zur
Begehung einer nach den Artikeln 2 bis 5 umschriebenen Straftat zu
verwenden." Borges et al. (s.o.) schlagen deshalb sogar vor, explizit schon
den Besitz zu bestrafen. Dagegen ließe sich einwenden, dass die Formulierung
der Konvention jedenfalls enger ist als der Gesetzesentwurf, weil sie wohl
auf eine konkrete Straftat hindeutet.
b) Streichung des Eventualvorsatzes: das würde zumindest ausschließen, die
o.g. Tätigkeiten von Wissenschaftlern zu bestrafen. Die entstehenden
Straf-barkeitslücken sind u.E. angesichts der ohnehin weiten Vorverlagerung
des Tatbestandes vertretbar. Man könnte in Anlehnung an Borges et al. die
Formulierung ändern in "Wer [Nr. 1 und Nr. 2, Text bis zugänglich macht],
mit dem Wissen oder in der Absicht, dass sie zur Begehung einer konkreten
Straftat nach § 202a oder § 202b gebraucht werden, wird."
"Wir appellieren deshalb an den Bundesrat, die weite Entwurfsfassung des §
202c StGB zu verhindern", so Pohl.
Die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) ist eine gemeinnützige
Fachgesellschaft zur Förderung der Informatik in all ihren Aspekten und
Belangen. Gegründet im Jahr 1969 ist die GI mit ihren heute rund 24.500
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Bei Abdruck Belegexemplar erbeten. Vielen Dank!
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